KI für produzierenden Mittelstand

erfolgversprechende Anwendungsgebiete und korrekte Implementierung

Alexander Dementyev

Einleitung

Der produzierende Mittelstand gehört zu einem der führenden Wirtschaftszweige in Deutschland. Durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) verspricht man sich in der Regel eine weitere Steigerung der Produktivität sowie der Qualität der Erzeugnisse bei einer gleichzeitigen Senkung des Ressourcenverbrauchs. Dadurch entsteht ein erhebliches Wachstumspotenzial für die KI-basierten Anwendungen.

Das KI-Wachstumspotenzial beruht in erster Linie auf der immer fortschreitenden Digitalisierung der industriellen Produktion, die in den vergangenen Jahren unter der Vision der Industrie 4.0 vorangetrieben wurde. Die fortgeschrittene Digitalisierung sowie die gestiegene Leistung der modernen Rechentechnik ermöglicht damit nicht nur die Optimierung von einzelnen Produktionsprozessen, sondern schafft die Voraussetzungen für eine erfolgreiche KI-Einführung in vielen Produktionsbereichen.

Es werden nun an vielen (Teil-)Produktionsschritten erhebliche Datenmengen verfügbar, die für die Anwendung von maschinellen Lernverfahren essentiell sind. Aufgrund des rasant gestiegenen Datenumfanges und der stark erhöhten Komplexität der Produktionsprozesse, ist die Anwendung von “konventionellen” Analyse- und Optimierungsverfahren dagegen oft nicht mehr sinnvoll oder gar nicht möglich. Und genau hier kommen die zentralen Eigenschaften von KI-basierten Systemen ins Spiel: Diese können nämlich aus dem bereits vorhandenen Datenmaterial automatisiert lernen und sich auch an die sich verändernden Umgebungsbedingungen anpassen.

In dieser Ausgabe der Nachgelesen-Reihe erfahren Sie:

Übersicht KI-Verfahren

Der Begriff “Künstliche Intelligenz” wird heute überwiegend im Kontext des maschinellen Lernens verwendet, beinhaltet aber auch eine Vielzahl anderer Anwendungen wie etwa Expertensysteme oder digitale Assistenten (mit welchen durch eine automatisierte Erstellung einer formalisierten Wissensrepräsentation das anschließende logische Schließen ermöglicht wird).

Entscheidend ist dabei die Fähigkeit, mit neuen bzw. unbekannten Situationen erfolgreich umzugehen, neue Informationen zu verarbeiten und “zu verstehen” und damit aus dem verfügbaren Wissen neues Wissen zu generieren, neue Aufgaben zu lösen. Genau diese Fähigkeit unterscheidet KI-Systeme von klassischen regelbasierten IT-Systemen, die bei jeder Veränderung der Aufgabenstellung manuell angepasst werden müssen.

Derzeit unterscheidet man bei den Verfahren des Maschinellen Lernens die folgenden drei Untergruppen:

  • überwachtes Lernen (Supervised Learning),
  • unüberwachtes Lernen (Unsupervised Learning),
  • bestärkendes Lernen (Reinforcement Learning).

Beim überwachten Lernen wird der KI-Algorithmus mit einer großen Menge an beispielhaften Ein- und Ausgangsdaten (Referenzdaten) trainiert. Aus dem Zusammenhang zwischen den Ein- und Ausgangsdaten wird ein mathematisches Modell erstellt, welches auch eine Vorhersage von Ausgangswerten bei einer bisher unbekannten Kombination von Eingangsdaten erlaubt. Dies wird als Regressionsaufgabe bezeichnet. Alternativ kann der überwachte Lernalgorithmus auch die Zuordnung von Merkmalen, die aus den Eingabewerten gewonnen werden, zu Objektklassen realisieren (Klassifikationsaufgabe bzw. Mustererkennung). Dabei wird vorausgesetzt, dass die Beziehung zwischen Merkmalen und Objektklassen bereits bekannt ist. Sind diese jedoch nicht bekannt, muss die Beziehung zwischen den Daten durch das sogenannte “Labeln” nachträglich hergestellt werden, was natürlich recht aufwendig sein kann.

Beim unüberwachten Lernen wird zwar auch eine beispielhafte Datenmenge benötigt, jedoch ohne bereits vorgegebene „Label“ bzw. vordefinierte Objektklassen. Es wird mit Hilfe von geeigneten Algorithmen erlernt, wie die „normalen“ Daten aussehen. Im Falle von Anomalien werden diese entsprechend erkannt und separiert. Die Deutung der erzielten Ergebnisse liegt hier jedoch beim Menschen. Er muss nämlich die automatisch erkannten Objektklassen mit dem realen Produktionskontext verbinden. Somit ist das unüberwachte Lernen, trotz der Einsparung des Labeling-Prozesses, durch die notwendige Interpretation der Ergebnisse nicht minder aufwändig.

Das bestärkende Lernen basiert auf Belohnungsprinzipien, die zur Anpassung der Lösung im Sinne der Optimierung führt. Teile einer Lösung können zum Beispiel mit Punktzahlen bewertet werden, wobei eine höhere Punktzahl einer besseren Lösung entspricht. Die größte Herausforderung stellt dabei die Identifikation geeigneter Belohnungsstrategien sowie die Zulässigkeit des Try-and-Error-Prinzips unter konkreten Produktionsbedingungen dar.

Lernstile des Maschinellen Lernens
Abbildung 1: Lernstile des Maschinellen Lernens

Erfolgversprechende Anwendungsgebiete

Erfolgversprechende KI-Anwendungsgebiete für den produzierenden Mittelstand sind sehr vielfältig und es ist einfach nicht möglich eine abschließende Liste zu erstellen. Deshalb wird im Rahmen dieses Beitrags nur eine grobe Übersicht gegeben.

Instandhaltung

Beim Einsatz von KI-basierten Prognosemodellen können Sie genau ermitteln, in welchem Zustand sich Ihre Maschinen befinden. Damit können Sie rechtzeitig Entscheidungen treffen, welche Ihrer Anlagen gewartet werden müssen. Durch Anpassung der Wartungsplanung vermeiden Sie Ausfälle in Ihrem Maschinenpark. Basis für diese KI-Algorithmen bilden dabei historische und aktuelle Maschinendaten.

Prozessoptimierung und Prozesssteuerung

Dies ist ein weiteres Anwendungsfeld von künstlicher Intelligenz in der Produktion. Dabei werden fertigungs- oder verfahrenstechnische Prozesse optimiert. Im Mittelpunkt der Optimierung stehen hier nicht nur die Maschinen selbst, sondern auch die Produktionsschritte oder ganze Prozessketten. Zum Beispiel können, basierend auf Maschinen- und Prozessdaten, mittels KI-Modellen wichtige Einflussfaktoren ermittelt und optimale Prozesseinstellungen vorgenommen werden. Der KI-Algorithmus kann dabei den Produktionsprozess in Echtzeit auswerten und bei Bedarf die entsprechenden Anpassungen vornehmen. Damit können Sie sowohl den Ausschuss als auch den Energiebedarf Ihrer Prozesse minimieren.

Qualitätskontrolle

Hier helfen Ihnen die KI-basierten Verfahren, wie etwa Bilderkennung oder Bildklassifikation, die aufwendigen und fehleranfälligen manuellen Qualitätskontrollen zu automatisieren. Nach einer Anlernphase kann die KI die Anomalien auf Bildern, die mit Kameras erfasst wurden, erkennen und dem Bediener entsprechende Hinweise geben. Alternativ kann die KI die defekten Teile auch vollautomatisiert aussortieren.

Produkt- und Prozessentwicklung

Mit KI-Lösungen, wie etwa mit künstlichen neuronalen Netzen zur Prognose der mechanischen Eigenschaften von Produkten, können Sie Ihre Design- und Engineering-Prozesse optimieren. Eine der vielen Einsatzmöglichkeiten für KI ist auch die Nutzung von Maschinellem Lernen zur Auswertung von Test- oder Simulationsdaten, um komplexe Zusammenhänge in der Produktentwicklung per Mustererkennung aufzudecken. Auch der KI-Einsatz für die Planungs- und Optimierungsaufgaben ist sinnvoll, um manuellen Aufwand einzusparen und den Entwicklungsprozess zu beschleunigen.

Assistenzsysteme

Assistenzsysteme sind inzwischen ein fester und potenzialreicher Bestandteil der KI-Anwendungen. Die Aufgabe von Assistenzsystemen ist die Unterstützung von Menschen bei vielfältigen Tätigkeiten. Assistenzsysteme sollen den Menschen zwar nicht ersetzen, geben ihm aber wichtige Hinweise und warnen vor Fehleingriffen. Maschinelles Lernen und vor allem Deep Learning eröffnen zahlreiche neue Möglichkeiten und Einsatzbereiche für Assistenzsysteme – auch in immer komplexeren Anwendungsszenarien.

Automation

Mit Künstlicher Intelligenz lassen sich Kausalitätsbeziehungen herstellen und Produktionsprozesse selbstlernend optimieren. Dabei entstehen selbstoptimierende Maschinen und Anlagen, welche sich an die sich verändernden Produktionsbedingungen anpassen können und eine optimierte Auslastung von Maschinen anstreben. Durch die prozessschritt-übergreifende Auswertung zahlreicher Daten von Maschinengruppen, Anlagen und Fertigungslinien aber auch von Betriebsdaten wird eine kostenoptimierte Produktion durch KI ermöglicht.

Logistik

Bereits heute unterstützen KI-Systeme Unternehmen mit Aktionsplanungs- und Optimierungsalgorithmen in der Lagerhaltung. Dabei werden sowohl die kritischen Lagerbestände erkannt als auch Vorschläge für vorzuhaltende Materialmengen auf Basis von Prognosemodellen ausgegeben. Auch im Bereich Warentransport kommt zunehmend KI zum Einsatz. Als Beispiele dienen hier Routenplanung von fahrerlosen Transportsystemen und eine dynamische Routenanpassung bei autonomen Fahrzeugen, die es ihnen bspw. erlaubt, Hindernisse zu erkennen und zu umfahren.

Vorgehensweise bei der Implementierung

Um das Optimierungspotenzial in produktionstechnischen Anlagen durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz wirtschaftlich erschließen zu können, ist eine systematische Vorgehensweise unerlässlich. Seit Ende der 1990-er Jahre wurden dafür bereits mehrere Vorgehensmodelle vorgeschlagen. Im Bereich prototypischer KI-Implementierungen hat sich inzwischen das sogenannte CRISP-DM-Vorgehensmodell etabliert.

CRISP-DM (Cross Industry Standard Process for Data Mining) ist ein branchenübergreifendes Vorgehensmodell für alle datengesteuerten Anwendungen. Es wurde 1996 in einem EU-Projekt entwickelt und definiert insgesamt sechs verschiedene Phasen einer prototypischen KI-Implementierung. CRISP-DM ist anwendungsneutral und kann somit in beliebigen Bereichen eingesetzt werden.

CRISP-DM Vorgehensmodell für prototypische KI-Implementierungen
Abbildung 2: CRISP-DM Vorgehensmodell für prototypische KI-Implementierungen

Ein speziell an die Anforderungen aus dem Bereich Produktion angepasstes ML4P-Vorgehensmodell[1] wird aktuell durch sechs Fraunhofer-Institute unter Leitung des Fraunhofer-Instituts für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB entwickelt.

Nachgelesen
künstliche Intelligenz , Leistung bringen! , Maschinelles Lernen

Vorgehensmodell für Maschinelles Lernen in der Produktionsumgebung

Machine Learning for Production, kurz ML4P, bietet Unternehmen einen strukturierten Weg zur Implementierung von Methoden des Maschinellen Lernens in Produktionsprozesse. Wir stellen das Vorgehensmodell vor.

WEITERLESEN

Durch die Änderung von Rahmenbedingungen, wie etwa Alterung, Verschleiß und Wartung, veränderte Eigenschaften von Rohstoffen sowie Nachrüstungen am Prozess, verändert sich die Prozessdynamik. Die KI-Modelle müssen somit im laufenden Betrieb ständig an eine veränderte Situation angepasst bzw. angelernt werden. Diese Herausforderung kann nur durch ein standardisiertes Vorgehensmodell mit zugehörigen, standardisierten Werkzeugen überwunden werden. Es sei an dieser Stelle bemerkt, dass das CRISP-DM-Vorgehensmodell ein Bestandteil des deutlich komplexeren ML4P-Vorgehensmodells ist und für den Proof of Concept eingesetzt wird.

Bestandteile eines ML4P-Vorgehensmodells für KI-Implementierungen in der Produktion
Abbildung 3: Bestandteile eines ML4P-Vorgehensmodells für KI-Implementierungen in der Produktion[2]

Ziel des ML4P-Vorgehensmodells ist eine nachhaltige KI-basierte Anwendung im kontinuierlichen Betrieb in der Produktion.

»Das Vorgehensmodell kapselt Best Practices und ermöglicht die Skalierung auf große Teams durch entsprechende Planung, die Quantifizierung des Fortschritts und klare Schnittstellen zwischen Verantwortlichkeiten«

ML4P Konsortium

Zusammenfassung

Im internationalen Vergleich werden Deutschland bei Qualitätskontrolle, intelligenter Automatisierung und intelligenter Sensorik sowie der automatischen Erkennung und Verarbeitung von Sprache führende Rollen bereits zuerkannt.[3] Trotzdem gibt es immer noch starke Hemmnisse für den Einsatz von KI in der Produktion. Diese liegen überwiegend im fehlenden Wissen über KI sowie über ihre Grenzen und Einsatzmöglichkeiten, im Mangel an Fachkräften bzw. an fehlender KI-Expertise in den Betrieben und im immer noch zögerlichen Transfer von Forschungsergebnissen in die produzierende Wirtschaft begründet.

Weitere Verbreitung von KI-Anwendungen in der Produktion solln somit eine verstärkte Aufklärung über KI bzw. die Einbindung der KI-Thematik in die Aus- und Weiterbildung sowie Know-how-Tansfer aus Wissenschaft und Forschung in die Betriebspraxis unterstützen. Auch die Kommunikation von “Leuchtturmprojekten” mit erfolgreichen KI-Beispielanwendungen in Betrieben werden zum Abbau von Hemmnissen im Bereich KI beitragen.

Genau hier setzen die KI-Trainer am Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Chemnitz mit ihrer Expertise an und unterstützen kleine und mittlere Unternehmen beim klugen Einsatz von KI. Die Unterstützungsleistungen sind dabei speziell auf KMU zugeschnitten und richten sich an alle Branchen und Level. Die KI-Trainer bieten maßgeschneiderte Informations- und Qualifizierungsformate wie etwa Webinare, Workshops, Umsetzungsprojekte und Sprechstunden an und geben gern weiter, was man heute über KI und ihre Anwendung wissen sollte.

Quellen, Anmerkungen und weiterführende Literatur

  1. Vorgehensmodell für Maschinelles Lernen in der Produktionsumgebung: Strukturierter Weg zur Implementierung von ML-Methoden in Produktionsprozessen. Autor: Sina Nahvi, Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU), https://betrieb-machen.de/ml4p/
  2. Machine Learning for Production – Fraunhofer- Leitprojekt ML4P, https://www.fraunhofer.de/de/forschung/fraunhofer-initiativen/fraunhofer-leitprojekte/ml4p.html
  3. Machine Learning for Production – Fraunhofer- Leitprojekt ML4P, https://www.fraunhofer.de/de/forschung/fraunhofer-initiativen/fraunhofer-leitprojekte/ml4p.html

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Autor

Dr. Alexander Dementyev ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU). Im Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Chemnitz beschäftigt er sich als KI-Trainer mit der Unterstützung von kleinen und mittleren Unternehmen bei der Anwendung von Künstlicher Intelligenz in der Produktion.
alexander.dementyev@betrieb-machen.de

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