Ableitung von Anforderungen an IT-Kommunikation mittels Prozessanalyse

Pierre Grzona, Daniel Fischer

Für die erfolgreiche Umsetzung von Digitalisierungsprojekten innerhalb von Unternehmen ist eine klare und verständliche Kommunikation zwischen allen Beteiligten notwendig. Am Hauptprozess orientiert, müssen die Prozessanforderungen in die entsprechenden IT-Fachabteilungen transportiert werden. Hierfür bietet sich der Einsatz normierter Modellierungssprachen und der entsprechenden Werkzeuge an.

In dieser Ausgabe unserer Nachgelesen-Reihe erfahren Sie:

Modellierung von Prozessen

Gerade bei der Einführung neuer Geschäftsmodelle und der dahinter liegenden Geschäftsprozesse ist es notwendig sich frühzeitig mit sowohl den physischen Abläufen als auch den dahinter liegenden informationstechnischen Aspekten zu beschäftigen. Wird zum Beispiel ein neues Produkt eingeführt, welches insbesondere durch die Nutzererfahrung punkten soll, so empfiehlt es sich, die Nutzerinteraktionen im Vorfeld detailliert zu modellieren und durchzuspielen. Dies trifft ebenso zu, wenn Assistenzsysteme Ihre Angestellten bei der Ausübung ihrer Tätigkeit unterstützen sollen. Hierfür steht man häufig vor der Herausforderung, den passenden Detaillierungsgrad für die notwendige Modellierung zu treffen.

Für diese Modellierungen gibt es eine Vielzahl an Methoden und dazugehöriger Notationsformen. Hier zu nennen wären ereignisgesteuerte Prozessketten (EPK) nach Scheer oder Systems Modeling Language (SysML) zur Systemmodellierung. Weitere Vertreter sind Wertstromdiagramme und die Business Process Model and Notation (BPMN). Auf letztere fokussiert dieser Beitrag. Zu Beginn steht neben der Frage was und wie modelliert werden soll auch noch die Frage zum allgemeinen Vorgehen. Hierfür finden Sie weitere
Informationen über den Einstieg in ein agiles Vorgehen im Nachgelesen »Agiles Prozessmanagement: Die Grundlagen«[1].

Cyber-physische Prozesse

Im Rahmen von Digitalisierungsprojekten steht man vor der Herausforderung, nicht einfach nur den Prozess zu digitalisieren, d. h. von Papierform in eine digitale Form zu übersetzen, sondern diese zu vereinfachen und auch den Anwender bei der Ausführung seiner Arbeitstätigkeit bestmöglich zu unterstützen. Aus dem Zusammenwirken mechanischer, elektronischer, software- und informationstechnischer Komponenten entsteht so ein cyber-physisches System. Bei der Modellierung bieten sich folgende Grundsätze nach Bullinger et al. an:

  • Richtigkeit (Sind die Abläufe fachlich korrekt, ist die entsprechende Fachexpertise im Workshop vertreten?)
  • Relevanz (Sind die Abläufe in dem Kontext relevant, ist das Abstraktionsniveau richtig gewählt?)
  • Wirtschaftlichkeit (Wird das Kosten-Nutzen-Verhältnis eingehalten, ist evtl. der Einsatz eines Referenzmodelles möglich?)
  • Klarheit (Sind die Modelle verständlich und leicht zu erfassen, ist meine gewählte Notation für das Umfeld angemessen?)
  • Vergleichbarkeit (Existieren Modelle der Ist-Situation, sind die Inhalte auf das neue Modell übertragbar?)
  • Systematischer Aufbau (Sind die benötigten Sichten enthalten oder welche weiteren Sichten sind notwendig?)[2]

Diese Grundsätze und die sich daraus ableitenden Fragen geben einen Rahmen für die Modellierungsaufgabe vor und steigern deren Qualität. Je nach Situation eignen sich unterschiedliche Modellierungssprachen und damit auch die Werkzeuge für diese. Für unseren Anwendungsfall bietet es sich an, die wertschöpfenden Tätigkeiten eines Mitarbeiters/Nutzers innerhalb einer Produktion als Basis zu nehmen. Daraus ergeben sich einerseits die notwendigen Abläufe und Interaktionen, die für die Ausführung der Tätigkeit notwendig sind, aber auch andererseits welche weiteren Schnittstellen im Arbeitsbereich vorliegen, die auf den ersten Blick nicht der Wertschöpfung dienen. Ziel der Modellierung mittels BPMN ist hierbei, die Abläufe des Mitarbeiters als Basis zu nehmen, um daraus seine Abläufe zu modellieren; daneben aber auch die jeweiligen Schnittstellen zu anderen Systemen. Wir werden anhand eines Beispiels einige Grundelemente der Modellierungssprache erläutern. Für den Nutzer oder auch das Produkt gibt es ein Ereignis, welches den Ablauf auslöst, danach erfolgt die Aktivität des Nutzers.

Abbildung 1: Notationselemente BPMN || © TU Chemnitz

Abbildung 1: Notationselemente BPMN

Nachfolgend wird beispielsweise geprüft, ob eine Bedingung erfüllt wurde, in dem zum Beispiel die benötigten Informationen vorliegen, sodass der Mensch seinen Ablauf fortsetzen kann und selbst Daten in ein anderes System übergibt oder im Fall B noch weitere Daten abfragen muss (siehe Abbildung 1).

Folgt man diesem Ablauf für den Mitarbeiter systematisch, so lassen sich daraus die notwendigen Daten und Schnittstellen zu beteiligten Systemen ableiten. Darauf aufbauend sieht man sich die nachgelagerten Abläufe an und wie diese gesteuert werden. So werden systematisch die verschiedenen Systeme und Sichten durchgearbeitet.

Durch die Arbeit mit sogenannten Swimlanes, als Abgrenzung zu anderen Bereichen, Systemen oder Funktionen kann auch die übergreifende Kommunikation zwischen Akteuren oder Systemen modelliert werden, soweit diese für den Anwendungsfall notwendig ist. Hierbei werden beispielsweise auch die Form der Kommunikation zwischen den verschiedenen Bereichen dokumentiert, um zu ermitteln wo eventuell Potenziale für Prozessverbesserungen bestehen, durch die Verlagerung von Schnittstellen (siehe Abbildung 2).

Abbildung 2: BPMN Beispiel mit 2 Swimlanes || © TU Chemnitz

Abbildung 2: BPMN Beispiel mit 2 Swimlanes

Anforderungen an die IT-Kommunikation

Je nach Ziel der Modellierung kann die Abstraktionsebene des Modells bis zu einzelnen Informationen, die innerhalb verschiedener Systeme ausgetauscht werden, herunter gebrochen werden, um so beispielsweise auch eine Skalierbarkeit der IT-Systeme zu prüfen[3]. Hierbei sollten auch verwendete Kommunikationsprotokolle einer Prüfung unterzogen werden. Bspw. kann durch einen Wechsel des Protokolls Kommunikation eingespart oder verlagert werden. Durch die Arbeit mit Inputs und Outputs die während der jeweiligen Aktivitäten benötigt werden, kann auch schnell erkannt werden, welche Informationen wann bereitgestellt werden müssen und wie diese innerhalb eines Systems oder des Prozesses verarbeitet werden. Für diese Anforderungserhebung für (software-)technische Systeme haben sich die Begriffe Requirements Engineering als auch Systems Engineering etabliert. Ziel innerhalb beider Vorgehen ist es, einen Rahmen zu schaffen, um Nacharbeitskosten durch Fehler in Entwicklungsprojekten zu minimieren.

Einige Lösungsansätze hierzu sind:

  • Stakeholder/Rollenorientierung,
  • Trennung in Funktionskomponenten,
  • Einsatz einer geeigneten Notation,
  • Zeit für die Anforderungsidentifikation.[4]

Durch die Stakeholder/Rollenorientierung sollte schon im Vorfeld geprüft werden, wer an der Entwicklung zu beteiligen ist, sodass die entsprechenden Rollen im Projekt vertreten sind. Gerade für Entwicklungsprojekte in KMU sollte im Vorfeld geklärt werden, wer an der Umsetzung beteiligt ist und ob ggf. ein externer Dienstleister frühzeitig mit einbezogen wird, um Anforderungen beispielsweise an ein IT Lastenheft zu kommunizieren aber auch Ratschläge bei Entscheidungen hinsichtlich Systemarchitektur oder verwendeter Kommunikationsprotokolle zu geben. Bei der Modellierung möglicher Systeme sollte in Funktionen und Komponenten gedacht werden, sodass eine Verschachtelung mehrerer Systeme für eine Funktion vermieden wird und auch die Anzahl der Schnittstellen minimiert werden kann. An gleicher Stelle ist aber auch zu beachten, dass modulare Systeme mit funktional getrennten Schichten perspektivisch einfacher an sich ändernde Technologien und Anforderungen angepasst werden können. Die bei der Modellierung gewählte Notation sollte für alle Beteiligten verständlich sein und klar die notwendigen Anforderungen wiedergeben. Es sollte sich ausreichend Zeit genommen werden für eine umfängliche Anforderungsidentifikation und deren Dokumentation.

Das passende Werkzeug

Für die entsprechende Gestaltung Ihrer Anforderungen in einer BPMN-Notation können Sie Online-Werkzeuge wie beispielsweise Cawemo[5] oder ARIS Express[6], Installationsversionen wie Modelio[7] oder die BPMN-Paletten in Microsoft Visio nutzen. Neben diesen kostenfreien Werkzeugen oder Erweiterungen existieren auch eine Vielzahl kostenpflichtiger Tools. Erhebungstechniken stellen neben dem Modellierungswerkzeug ein weiteres wesentliches Werkzeug für die Anforderungserhebung dar. Diese können Kreativitätstechniken, Befragungstechniken, Beobachtungstechniken oder auch Evolutionstechniken sein. Ein wesentlicher Aspekt ist hierbei die Ausgestaltung einer offenen und ausgewogenen Workshop-Atmosphäre, um jede Rolle bei der Entwicklung gleichgewichtet zu Wort kommen zu lassen. Im
Rahmen der aktuell eingeschränkten Präsenztermine, haben sich mehr und mehr Online-Formate durchgesetzt mit ihren Vor- und Nachteilen. Ein wesentlicher Vorteil ist, dass alle Teilnehmer am gleichen Modell arbeiten und die Prozessmodellierung in kleineren Einheiten durchgeführt werden kann, um Zeit effizient zu nutzen. Ein Nachteil kann hier aber auch die physische Distanz sein, die somit die Kommunikation auf einigen Ebenen einschränkt.

Wir hoffen Ihnen durch dieses Nachgelesen die Herausforderungen bei der Anforderungs- und Prozessanalyse näher gebracht zu haben. Sollten Sie in Ihrem Unternehmen vor ähnlichen Problemen stehen und sich weiterführende Fragen ergeben, kontaktieren Sie uns gerne.

Quellen, Anmerkungen und weiterführende Literatur

  1. Baumgärtel, F. (2020): Agiles Prozessmanagement: Die Grundlagen. Abgerufen von: https://betrieb-machen.de/nachgelesen_agiles-prozessmanagement-die-grundlagen/ [11.05.2021].
  2. Westkämper, E., H. J. Warnecke, and H. J. Bullinger. Neue Organisationsformen im Unternehmen. Auflage, Berlin (2003).
  3. Transferprojekt mit Meal Revolution GmbH. Abgerufen von: https://betrieb-machen.de/abschluss_mealrevolution/ [11.05.2021].
  4. Partsch, Helmuth. Requirements-Engineering systematisch: Modellbildung für softwaregestützte Systeme. Springer-Verlag, 2010.
  5. https://cawemo.com/
  6. https://www.ariscommunity.com/aris-express
  7. https://www.modelio.org/

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Autoren

Pierre Grzona ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur Fabrikplanung und Intralogistik der Technischen Universität Chemnitz. Im Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Chemnitz beschäftigt er sich mit Themen zur Digitalen Fabrik und generelle Fabrik- und Logistikplanung. pierre.grzona@betrieb-machen.de

Daniel Fischer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur Fabrikplanung und Intralogistik der Technischen Universität Chemnitz. Im Mittelstand 4.0- Kompetenzzentrum Chemnitz beschäftigt er sich mit den Themen Produktionsdatenerfassung und -analyse, Softwareentwicklung und IoT & Digitalisierung.
daniel.fischer@betrieb-machen.de

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