Virtuelle Realität – Grundlagen für Einsteiger
Francisco Hernandez & Erik Hunold
Die Virtuelle Realität (VR) existiert seit Jahrzehnten. Die Technologie ist aber in den letzten Jahren erschwinglicher geworden, so dass sich deren Einsatz rapide verbreitet und an Bedeutung gewonnen hat.
Die Anwendung von VR unterstützt die Entwicklung, Anpassung und Umsetzung von neuen Ideen.
In dieser Ausgabe unserer Nachgelesen-Reihe erfahren Sie:
- Was ist Virtuelle Realität?
- Was ist ein VR-System?
- Welche Technologien werden verwendet?
- Welche Vorteile bringt VR mit sich?
- Wie werden VR-Systeme angewendet?
Was ist Virtuelle Realität (VR)?
Die VR ist eine immersive, realistische, interaktive, dreidimensionale und computergenerierte Welt. In dieser können digitale Zwillinge von
- Objekten und Produkten,
- Prozessen und
- Produktionsanlagen
unter Berücksichtigung ihrer Merkmale und Funktionen erschaffen werden.
VR-Anwendungen weisen bedeutende Potenziale auf. Die digitalen Zwillinge ermöglichen die Erschaffung einer virtuellen Welt, in der Mitarbeiter ausgebildet, Endkunden begeistert und neue Projekte entwickelt werden können.
Die Gestaltung einer VR-Anwendung kann sich als komplexer und zeitaufwendiger Prozess erweisen, die Vorteile dieser Technologie sind jedoch enorm.
Um ein besseres Verständnis über die Einsatzmöglichkeiten zu erhalten, werden im Folgenden die Funktionsweise eines VR-Systems und dessen erforderliche Komponenten erläutert.

Was ist ein VR-System?
Heutzutage sind mehrere Varianten von VR-Systemen mit verschiedenen technischen Voraussetzungen und Kosten am Markt vorhanden.
Es stehen aktuell vier VR-Systeme zur Verfügung: die Powerwall (Großbild-Projektionswand), der L-Bench (L-förmiger 3D-interaktiver Planungstisch), der 5-Seiten-CAVE (ein zugänglicher Würfel, auf dessen internen Wänden Bilder projiziert werden) und das Head-Mounted Display (HMD, ein auf dem Kopf zu tragendes, visuelles Ausgabegerät, ähnlich einer Brille).

VR-Hardwareübersicht
Jedes VR-System besteht unabhängig von seiner Komplexität aus vier wesentlichen Komponenten: einem Computer/Rechner, einer Projektionsfläche, einem Tracking- und einem Interaktionssystem (siehe Abbildung 3).
Die Kosten eines Systems können von 100 bis 100.000 Euro variieren. Das beliebteste und am häufigsten angewendete VR-System ist das Head-Mounted-Display. Dieses besteht aus zwei Bildschirmen, die auf ein spezielles Gestell oder eine Brille montiert werden. Diese VR-Brille ermöglicht die vollständige Immersion in die virtuelle Welt.
Der Nachteil dieses Systems ist der geringe Tragekomfort und die eingeschränkte Anwendbarkeit in der Teamarbeit.
Dennoch bieten sich eine Reihe von Nutzungsmöglichkeiten:
- Virtuelle Konferenzräume
- Workshops und Trainings in der VR
- Marketing
- Produktentwicklung
Der Verkaufspreis von HMD-Systemen ist von durchschnittlich 350 € im Jahr 2014 auf 100 € in 2018 gesunken (eine Reduktion um 70 %). Dank dieses Preisrückgangs von VR-Systemen wird die Anzahl von VR-Nutzern weltweit von 6,5 Mio. im Jahr 2016 auf voraussichtlich 24,4 Mio. Nutzer in 2020 steigen.[2]

VR-Softwareübersicht
Über die Erstellung von Anwendungen entscheiden nicht die Kosten, da aktuell viele Open-Source-Softwareanbieter am Markt beteiligt sind.
VR-Software dient als Schnittstelle zwischen vorbereiteten CAD-Modellen und vorhandener VR-Hardware, wie in Abbildung 4 dargestellt ist.

VR-Software macht die Erstellung einer definierten Simulationsumgebung möglich.
Dafür können die CAD- bzw. 3D-Modelle aus verschiedenen CAD-Softwareprogrammen importiert und in der VR-Entwicklungsumgebung dargestellt werden.
Die Ein- und Ausgabewerte der VR-Hardware werden durch die Software ausgelesen und interpretiert.[1]
Beispiele für VR-Hardware sind:
- VR-Brille und Controller (Oculus, HTC Vive, usw.)
- Trackingsysteme (Positionssensoren)
Beispiele für CAD-Software und Dateiformate sind:
- Solidworks (.sldprt)
- AutoCAD (.dwg)
- PTC ProE/Creo (.prt)
- CATIA (.catpart)
Die Komplexität und der Detaillierungsgrad einer VR-Umgebung sind abhängig vom Anwendungszweck und bestimmen den Zeit- und Kostenaufwand.
Der Programmierungs- und Entwicklungsaufwand einer VR-Umgebung und die benötigte Rechnerleistung hängen von den gewünschten Interaktionen (bspw. Greifen und Platzieren von Objekten), der interaktiven Menüsteuerung (z. B. Popup-Meldungen) und dem Detaillierungsniveau (Lichtquelle, Textur, Perspektive, Bilder, Videos, Töne, usw.) ab.
VR-Anwendung
Die Anwendungsbereiche von VR-Systemen sind:
- Planung
- Bebaubarkeit
- Ergonomie
- Simulation
- Digitale Produktion
- Vertrieb und Marketing
Dabei können unterschiedliche Anwendergruppen angesprochen werden.
In der Produktentwicklung
Bei der Gestaltung einer Maschine müssen drei Faktoren berücksichtigt werden: der Mensch, die Technik und die Organisation. Ein VR-System macht es möglich, diese Faktoren gleichzeitig zu integrieren und zu analysieren. VR-Systeme können von der Planung bis zur Inbetriebnahme eines neuen Produktes oder Prozesses eingesetzt werden.
Die Simulation von Arbeitsabläufen und Bewegungen bei Anwendung unterschiedlicher Perspektiven sowie die Interaktionsmöglichkeit innerhalb eines VR-Systems bieten die Grundlage für deren umfassende Analyse.
Diese ermöglicht die Identifikation von:
- Kollisionsgefahren und Unzugänglichkeiten
- nicht ergonomisch gestalteten Maschinen
- suboptimalen Arbeitsweisen
Infolgedessen können in kurzer Zeit notwendige Anpassungen an der Gestaltung der Maschine vorgenommen werden.
Normalerweise erfordert der Planungsprozess die Gestaltung mehrerer Varianten und deren Bewertung, um die optimale Lösung zu ermitteln. Die Festlegung der optimalen Variante kann in kurzer Zeit mit Hilfe eines VR-Systems dargestellt, simuliert, verglichen, bewertet und geändert werden.
Damit wird der Entscheidungsprozess vereinfacht und die Ermittlung der optimalen Variante kann schneller erfolgen.
Die Reduktion des Planungsaufwands hat sowohl einen direkten Einfluss auf die Entwicklungskosten und die -zeit als auch auf eine mögliche Einsparung von physischen Prototypen.
Für den Endkunden
VR-Systeme lassen den Endkunden mit den Produkten interagieren und dienen als ergänzende Informationsquelle. Auch virtuelle Rundgänge durch die Produktionshallen sind möglich, in denen der Kunde die Montagelinie „vor Ort“ erlebt. Er kann sich so mit der Produktion bzw. den Produkten auseinandersetzen, wodurch oftmals eine erhöhte Begeisterung erzielt werden kann.
In der Ausbildung
VR-Systeme ermöglichen auf einzigartige Weise eine interaktive Einarbeitung in der Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern in neue Produkte (technische Angaben oder Arbeitsweise) und Arbeitsprozesse (Montage oder Wartung). Noch bevor das Endprodukt durch die Montagelinie fließt oder ein neues Werk gebaut wird, können Mitarbeiter interaktiv geschult werden.
Schulungen mit VR-Systemen ermöglichen auch die Darstellung von außergewöhnlichen Szenarien, die ein Risiko für die Mitarbeiter darstellen oder zusätzliche Kosten für die Arbeitgeber verursachen können.[3] Menschliches Fehlverhalten und Unfälle am Arbeitsplatz können durch regelmäßige Schulungen vermieden werden.
Eine Studie zeigt, dass VR-basierte Schulungen die Wissensbindung um bis zu 28,5 % verbessern können.[4]
Zusammenfassung
Die Pandemie-Ereignisse im Frühjahr 2020 hatten einen direkten Einfluss auf unsere Arbeits-, Bildungs- und Gesundheitssysteme. Diese haben weltweit von einem Tag auf den anderen eine Anpassung unserer Arbeitsweisen gefordert. Jeder zweite Berufstätige in Deutschland hat seitdem ganz oder zum Teil im Homeoffice gearbeitet und tut dies weiterhin. Der Digitalisierungsbedarf wurde in kurzer Zeit vorangetrieben.
Virtuelle Realität und deren Anwendungsmöglichkeiten sind vielfältig. Ein VR-System kann die Prozessplanung und -gestaltung beschleunigen und so den Entwicklungsaufwand von neuen Produkten oder Prozessen stark reduzieren. Unabhängig vom Sektor können Sie und Ihre Kunden von dieser Technologie direkt profitieren und deren Potenzial nutzen. Das Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Chemnitz hilft Ihnen gern dabei, die passende Lösung zu finden.
Quellen, Anmerkungen und weiterführende Literatur
- Mögel, J. (2016): Virtual Reality und Augmented Reality als Werkzeug in der Aufstellplanung. In Stelzer, R. (ed.), Beiträge zur Virtuellen Produktentwicklung und Konstruktionstechnik Entwerfen Entwickeln Erleben.
- Statista GmbH (2018): Virtual Reality Statista Dossier: – Prognose zum durchschnittlichen Verkaufspreis von Head-Mounted-Displays (Virtual Reality) in den Jahren 2014 bis 2018 (in US-Dollar) – Prognose zur Anzahl der Virtual-Reality-Nutzer weltweit von 2016 bis 2020 (in Millionen), (did-29344-1):11–12.
- CNBC (2019): Why Microsoft Uses Virtual Reality Headsets To Train Workers, https://www.youtube.com/watch?v=Rnk_akgSjqg, abgerufen am 15.05.2019.
- Allcoat, D., Mühlenen, A. von (2018): Learning in virtual reality: Effects on performance, emotion and engagement, Research in Learning Technology 26:1–13, , doi:10.25304/rlt.v26.2140.
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Autoren
Francisco Hernandez ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur Arbeitswissenschaft & Innovationsmanagement der Technischen Universität Chemnitz. Im Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Chemnitz beschäftigt er sich mit den Themen Virtual und Augmented Reality sowie mit Kollaborierenden Robotern.
francisco.hernandez@betrieb-machen.de
Erik Hunold ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur Arbeitswissenschaft & Innovationsmanagement der Technischen Universität Chemnitz. Im Mittelstand 4.0- Kompetenzzentrum Chemnitz beschäftigt er sich mit den Themen Arbeit 4.0, moderne Arbeitswelten sowie Geschäftsmodellentwicklung und Usability.
erik.hunold@betrieb-machen.de
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