Echtzeitdaten und digitaler Zwilling im Anlagen- und Fahrzeugbau
Prof. Dr.-Ing. Egon Müller
In dieser Ausgabe unserer Nachgelesen-Reihe erfahren Sie:
- welche Bedeutung in der Erfassung von Echtzeitdaten liegt,
- welchen Benefit Echtzeitdaten in der Maschinenüberwachung bringen,
- wie aus Maschinendaten neue Geschäftsbereiche entstehen können,
- was einen digitalen Zwilling auszeichnet,
- wie digitale Zwillinge in Anlagen integriert werden können,
- wo Anwendungsmöglichkeiten für digitale Zwillinge liegen und
- welche Potentiale und Schlussfolgerungen sich für den Fahrzeug- und Anlagenbau ergeben.
Echtzeitdatenerfassung im Fahrzeug- und Anlagenbau
Die in den letzten Jahren gesammelten Erfahrungen haben gezeigt, welchen konkreten Nutzen Anbieter von Industrie 4.0-Lösungen ihren Kunden bieten können, um deren Interesse zu befriedigen. Unter dem Aspekt einer hohen Zuverlässigkeit und damit verbundener Wirtschaftlichkeit sind die Entwicklungen im Bereich der Nutzung von Echtzeitdaten und den Möglichkeiten des digitalen Zwillings ein zielführender Ansatz. Besonders interessante Möglichkeiten gibt es dabei im Hinblick auf die Prozess- und Maschinensteuerung zur Nutzung von Echtzeitdaten und deren Kopplung mit dem digitalen Zwilling.
Neben dem möglichen zukünftigen Einsatz von künstlicher Intelligenz in Maschinensteuerungen, ergeben sich große technische und betriebswirtschaftliche Effekte durch die Bereitstellung und Nutzung von Echtzeitdaten aus den vorhandenen Steuerungen. Dabei ist es gerade für kleine und mittlere Unternehmen enorm wichtig, die sich daraus ergebenden technischen Möglichkeiten und Entwicklungen so zu nutzen, dass sie zu einer Nachfrageerhöhung und damit zu steigenden Umsätzen und Gewinnen und nicht zu einer Fehlinvestition führen.
Die Erfassung und Speicherung von Maschinen- und Prozessdaten sind bei kritischen Anlagen bereits seit Jahrzehnten üblich. Doch die Einleitung von entsprechenden Maßnahmen erfolgt meist erst reaktiv, da die erfassten Daten zunächst ausgelesen und dann meistens noch manuell ausgewertet werden.
Häufig wird der Handlungsbedarf im schlechtesten Fall erst erkannt, wenn bereits ein gravierendes Problem besteht und dann z. B. aus Sicht der Anlagenhersteller die Auseinandersetzungen mit den Kunden beginnen. Auf diese Weise ist es schwierig, beispielsweise ein Anlagensystem kontinuierlich bezüglich seiner Prozesszustände und Parameter zu überwachen und retrospektiv stunden-, schicht- oder wochenbezogene Auswertungen zu dokumentieren. Das hat sich dank der heutigen Möglichkeiten grundlegend geändert: Sensor-, Prozess- und Produktionsdaten können durch digitale, automatisierte Analyseprozesse erfasst werden und entweder kontinuierlich verarbeitet und weitergegeben werden oder es können Informationen über die Anlage kontinuierlich in Echtzeit ausgewertet und in der Anlage selbst gesammelt und gespeichert werden.
Intelligente Maschinenüberwachung in Echtzeit
Im Bereich des Fahrzeug- und Anlagenbaus ist die intelligente Maschinenüberwachung, von besonderer Bedeutung für die Hersteller, um etwa Service und Wartung auf ein neues Qualitätslevel zu heben. Dazu können unter anderem folgende vier Schritte dienen:
- Verbinden:
In einem ersten Schritt werden die Maschinen im Anlagensystem vernetzt, um die Datenaustauschbarkeit zu gewährleisten. Hierfür stehen kostengünstige Hard- und Softwarelösungen zur Verfügung, die alle gängigen Industrieprotokolle lesen, in sichere Standardformate wandeln, austauschen und übertragen können und damit Echtzeitdatenzugriff ermöglichen. Wobei hier für Vernetzung besonders die lokale Anlagenvernetzung steht.
- Visualisieren:
Die gewonnenen Daten werden online grafisch so dargestellt, dass sie durch Bediener oder Servicetechniker zur visuellen Zustandsüberwachung genutzt werden können. So werden Leistungskennzahlen (engl. Key Performance Indicators, KPI), Fehlerzustände und Fehlerursachen sichtbar. Gleichzeitig wird über Echtzeitdatenschnittstellen die Verknüpfung zum Digitalen Zwilling vorgenommen, um diese zu speichern.
- Analysieren:
Mit Hilfe von Algorithmen aus Statistik und Künstlicher Intelligenz können die Zustandsüberwachung und die Fehlerdiagnose automatisiert werden. Prognosen und Trendanalysen liefern Informationen für die Entscheidungsunterstützung in Service und Wartung. Die Speicherung relevanter Echtzeitdaten, in Verbindung mit dem digitalen Zwilling, lässt ebenfalls eine retrospektive Dokumentation und Auswertung komplexer Anlagenzustände zu. Zusätzlich können daraus Hinweise zur kontinuierlichen Produktverbesserung gewonnen werden.
- Handeln:
Die Analyseergebnisse führen automatisiert zur Speicherung von relevanten Echtzeitdaten, welche hauptsächlich zur Bewertung der Anlagenzustände retrospektiv aber auch zu Benachrichtigungen, Ersatzteil- und Serviceaufträgen sowie zu Onlineservices führen können.
Besonders in diesem letzten Schritt geht es darum, das neu entstandene Potenzial gewinnbringend zu nutzen: Der Betrieb von Predictive beziehungsweise Preventive Maintenance und Datenanalyse dient dazu, Stillstände und Ausfälle zu vermeiden, die Produktionsprozesse zu optimieren sowie Maschinen effizient einzusetzen. Der wesentliche Vorteil des Ansatzes „Digitaler Echtzeit-Zwilling“ liegt darin, dass er auf einer hohen Digitalisierung beruhend, offline als auch online eingesetzt werden kann. Als eine Analogie dazu könnte der Flugschreiber in Flugzeugen (Blackbox) gesehen werden.

Maschinendaten als Grundlage neuer Businessmodelle
Diese neuen Möglichkeiten insbesondere im Service-Bereich, können zur Entwicklung neuer Businessmodelle durch die Erweiterung des Service- und Aftermarket-Geschäfts (Geschäftsprozessintegration) führen. So lassen sich tatsächlich Gewinne durch Maschinendaten erzielen und erweiterte Geschäftsfelder besonders für KMU im Fahrzeug- und Anlagenbau entwickeln. Neben anzustrebenden Komplettlösungen für das „Internet of Things and Services“ können solche Teillösungen Unternehmen ganzheitlich bei all diesen Schritten unterstützen und komplette Service-Wertschöpfungsketten abbilden.
Eine mögliche Lösung zur Unterstützung der Konnektivität der Maschinen, wobei Steuerungen und Sensoren verbunden werden, sodass alle Daten ausgelesen und sicher übermittelt und ausgewertet werden können, stellt die Echtzeitdatenverbindung mit dem digitalen Zwilling dar. Diese damit gespeicherten Daten können für die Beobachtung und Maschinenüberwachung z. B. auf einem integrierten oder auslesbaren Dashboard visualisiert werden. Zur Datenanalyse und -interpretation können in entsprechenden Ausbaustufen auch Big-Data- sowie KI-Technologien herangezogen werden, wobei diese auch genutzt werden können, um Parameter zu konfigurieren und zu optimieren.
Datenanalyse- oder KPI-Lösungsbausteine können als vorkonfigurierte Systemkomponenten direkt eingesetzt werden und sollten so aufgebaut sein, dass sie ganz einfach für den jeweiligen Anwendungsfall konfiguriert werden können. Für die Konfigurierung sind in einem solchen Fall keinerlei Kenntnisse über Informatik oder künstliche Intelligenz (KI) notwendig, womit sie gerade für KMU optimal sind. Durch entsprechende Konnektivität mit den Maschinen sind sie für die Überwachung sofort einsetzbar und liefern Ergebnisse um die Abläufe in den Anlagen zu verstehen. Es werden dabei die historischen Datenmengen auf die festgestellten Abweichungen in den Anlagensystemen begrenzt. Das ist für Hersteller im Fahrzeug- und Anlagenbau besonders interessant, denn sie können sich voll auf ihr Kernprozesswissen konzentrieren und sind in der Lage in ihrem Anlagenumfeld solche Sachverhalte selbst zu klären und festzulegen. Dazu gehören: Auswahl des Anwendungsfalls, der untersucht und überwacht werden soll (Verschleiß, Verschmutzung, Leckage oder Qualität), Zuweisung der entsprechenden Maschinendaten (Druck, Schwingung, Temperaturabweichung, Durchsatz) und der Verarbeitung, wobei die Konfiguration der jeweiligen Komponente für das jeweilige Aggregat und Eintragung der Parameter selbstständig vorzunehmen ist. Dabei können Daten systematisch gesammelt und ausgewertet werden und mit intuitiver Visualisierung auf dem Dashboard angezeigt werden, um sofort das Wesentliche erkennen und bewerten zu können.
Die Nutzung vorhandener Echtzeitdaten aus Steuerungen zur Abbildung von komplexen Prozesszuständen und Situationen von Anlagen und Ausrüstungen im Fahrzeug- und Anlagenbau in einem digitalen Zwilling, erschließt völlig neue Möglichkeiten für digitale Geschäftsprozesse, im Besonderen in Bezug auf Servicedienstleistungen und Sicherung einer hohen Verfügbarkeit. Entsprechend grundsätzlicher Anforderungen zur Umsetzung solcher Lösungen sind die dabei zu berücksichtigenden Zusammenhänge in der Abbildung 1 dargestellt.
Um die Entwicklungen hin zur digitalen Fertigung (verbunden mit Anlagen und Ausrüstungen, welche auf Strategien der Datenerfassung- und Verarbeitung dieser Anlagen und Prozesse beruhen) als KMU mit zu gestalten, um vielleicht sogar in speziellen Segmenten den Markt bestimmen zu können, ist es unabdingbar, das Fachwissen und die Kompetenz zu bestimmenden Kernelementen der steuerungstechnischen Echtzeitdatenerfassung und der Grundlagen zum digitalen Zwilling zu besitzen bzw. zu erlangen. Dies beinhaltet das Wissen zu Steuerungen und Echtzeitdatenerfassung sowie Werkzeugen und Technologien des digitalen Zwillings. Es erfordert zudem, die für die notwendigen Grundlagen der Automatisierungstechnik relevanten Gebiete zu kennen und die Verbindungen zu digitalen Modellen umsetzen zu können.
Digitaler Zwilling – Die Grundlagen
Ein digitaler Zwilling ist eine digitale Repräsentation einer real existierenden oder geplanten automatisierten Anlage der Fertigungstechnik zusammen mit den darin ablaufenden Produktionsprozessen. Üblicherweise wird ein digitaler Zwilling ausgehend von einem 3D-Modell bereitgestellt und ermöglicht Simulationen und Dienste, die Eigenschaften und Verhalten der Anlage oder der Prozesse beschreiben oder beeinflussen.
Ein digitaler Zwilling sollte eine Anlage in ihrem gesamten Lebenszyklus durch die Phasen Entwurf, Aufbau, Betrieb und Wiederverwertung begleiten. Viele technische und geschäftliche Analysen und Experimente können am digitalen Zwilling erfolgen, sodass z. B. in der Entwicklung physikalische Prototypen eingespart werden. Darüber hinaus sind am digitalen Zwilling auch Betrachtungen möglich, die in der realen Anlage gänzlich unmöglich sind. Ist die Technologie des digitalen Zwillings einmal in einem Unternehmen eingeführt, kann dies einen klaren Wettbewerbsvorteil darstellen.
Die digitale Abbildung von lebenden oder nicht lebenden physischen Objekten, wie z. B. ein Produkt, eine Maschine, eine Anlage, ein Teil einer Produktionsanlage oder einfach eine einzelne digitalisierte Komponente, bildet die Grundlage für den digitalen Zwilling. Der digitale Zwilling schließt die Lücke zwischen digitaler und physischer Welt und ermöglicht den nahtlosen bidirektionalen Austausch von Daten in Echtzeit. So können die digitalen Abbildungen zeitgleich mit ihren physischen Entitäten existieren. Jede digitale Abbildung liefert Elemente und gleichzeitig die dynamische Abbildung, wie intelligente Produkte während ihres gesamten Lebenszyklus arbeiten. Das bedeutet, dass digitale Zwillinge dieselben Phasen des Produktlebenszyklus durchlaufen wie reale, physische Produkte (Konstruktion, Fertigung, Lieferung und Betrieb beim Kunden bis hin zu Kundendienst und Service), wodurch ein schrittweiser Digitalisierungsansatz möglich wird.
Mit diesem beschriebenen Ansatz können alle Anlagen einen präzisen Datenstrom in Echtzeit handhaben, was wiederum leicht zugänglich über Steuerungen, Sensoren oder IoT-fähige Verbindungen wie z. B. Serviceplattformen realisierbar ist.

Digitalen Zwilling in Anlagen integrieren
Der generelle Ansatz des Industrial Internet of Things (IIoT) ermöglicht eine transparente, schnelle und effektive Analyse der Nutzungsphasen der Anlage über deren gesamten Lebenszyklus. Eine weitere Möglichkeit bietet die direkte Einbindung eines digitalen Zwillings in die Hard- und Software der Anlage um die gewonnenen Echtzeitdaten zu speichern und mit Zeitstempeln versehen, retrospektiv zu nutzen. In Abbildung 2 ist dafür die grundsätzliche Lösung als Basis dargestellt. Dieser Ansatz lässt sich mit gängiger Hard- und Software umsetzen und bis zu High-Endlösungen ausbauen, in der z. B. die o. g. Möglichkeiten der Integration von KI umgesetzt werden können.
Über digitale Zwillinge lassen sich Systeme integrieren. Über die Vernetzung digitaler Zwillinge untereinander und mit der Realität können Systeme entwickelt, Einsatzszenarien definiert und simulationsgestützte Anwendungen realisiert werden. Üblicherweise wird mit einer Realisierung und dem Einsatz des digitalen Zwillings eine Integration vorgenommen, die alle über den gesamten Lebenszyklus (Planung, Realisierung, Nutzung, Verwertung) entstehenden (Entwicklungs- und Betriebs-)Daten in digitalen Zwillingen zusammenführt und zueinander in Verbindung setzt. Es ist möglich Verhalten zu prognostizieren, auf dieser Grundlage Entscheidungen zu treffen und diese in Systeme und Prozesse zu integrieren. Dafür gibt es interdisziplinäre, domänen-, system-, prozess- und anwendungsübergreifende Integrationsplattformen zur Realisierung ganzheitlicher digitaler Zwillinge. Es gibt darüber hinaus die Möglichkeit digitale Zwillinge durch Teillösungen ausführbar, experimentierbar und integrierbar zu machen. Daraus lassen sich spezifische Anwendungen des digitalen Zwillings insbesondere für die Nutzung durch KMU ableiten. Hierzu ist eine Kombination jeweils benötigter Modelle, Daten und Auswerteverfahren und deren Integration über die entsprechenden Kommunikationsschnittstellen der digitalen Zwillinge sowohl in übergeordnete Prozesse als auch in reale Systeme möglich.
Anwendungsmöglichkeiten und Einsatzbereiche
Mit dem digitalen Zwilling lassen sich intelligente Systeme realisieren, die Historien, aktuelle Zustände und verschiedene Alternativen prospektiv und retrospektiv abbilden. Sie können dezentral und selbstständig eingesetzt werden, eigenständig Informationen austauschen, sich mit anderen koordinieren und Situationen frühzeitig erkennen, um dann rechtzeitig zu agieren. Sie können ebenfalls als Knoten des Internets der Dinge und Dienste angewendet werden. Ein digitaler Zwilling ermöglicht, Layouts und Prozesse zu modellieren, Roboterzellen und automatisierte Fertigungsanlagen zu simulieren und Abläufe zu visualisieren. Dabei ergeben sich Anwendungsmöglichkeiten über die verschiedenen Bereiche von der Anlagenplanung, Konstruktion, Elektroplanung, Steuerungsprogrammierung, Inbetriebnahme, Bedienertraining bis zum Vertrieb und Marketing.
Bisherige typische Anwendungsbereiche des digitalen Zwillings umfassen wichtige Bereiche von Industrie 4.0 einschließlich der Layoutplanung für neue und bestehende Fabriken, Anlagen und Stationen. Die detaillierten Anwendungsmöglichkeiten gehen dabei von der Taktzeitplanung und -optimierung, der automatisierten Berechnung von Bearbeitungsbahnen auf Werkstückoberflächen und -konturen einschließlich möglicher Nachbearbeitung über die Offline- Programmierung von Robotern in den entsprechenden Herstellersprachen bis zur Erreichbarkeits- und Kollisionsanalyse für Roboter und andere Kinematiken. Besonders interessant für die Kopplung von Echtzeitdaten aus den Anlagensteuerungen sind die Möglichkeiten der Anlagenverkettung, Validierung von Steuerungsprogrammen für speicherprogrammierbare Steuerungen (SPS), die virtuelle Inbetriebnahme mit realen SPS-Systemen über reale Feldbusse, interaktive Virtual-Reality- Präsentation von Anlagen und Prozessen in Echtzeit einschließlich der Erstellung von Videos zu Präsentations- und Trainingszwecken (Abbildung 3).

Potentiale und Ableitungen für den Fahrzeug- und Anlagenbau
Im Fahrzeug- und Anlagenbau und deren Geschäftsprozesse spielen die Verfahren zur Nutzung von Echtzeitdaten und der Anwendung des digitalen Zwillings zukünftig eine wesentliche Rolle – sowohl als Alternative zur physikalischen Modellierung des Anlagenverhaltens als auch als Ergänzung zu Vorgehensweisen im gesamten Servicebereich. Die moderne Fabrik ist vernetzt und digitalisiert. In diesem Zusammenhang gibt es ein hohes Wertschöpfungs- und Optimierungspotenzial durch den digitalen Zwilling und die Echtzeitdatennutzung. Die Verfügbarkeit und Nutzbarkeit von Daten ist eine entscheidende Voraussetzung für die Umsetzung und Anwendung neuer digitaler Geschäftsprozesse. Auf Basis von Edge Computing lassen sich minimale Latenzzeiten ermöglichen und damit nahezu Echtzeitfähigkeit erreichen. Der digitale Zwilling wird in produzierenden Betrieben zunehmend zu einem wichtigen Wettbewerbsfaktor. Er ermöglicht ebenfalls die prospektive und die retrospektive Simulation von Maschinen und Anlagen. Durch die Kopplung realer Anlagensysteme mit dem virtuellen Spiegelbild lassen sich Echtzeitzustände durch Speicherung von Vergangenheitsdaten in größter Granularität reproduzieren und natürlich auch über Simulation vorausschauend abschätzen. So können beispielsweise Abläufe simuliert und optimiert werden, was zu hohen Einsparpotenzialen führt.
Ansatz „Digitaler Echtzeit-Zwilling“
Der digitale Zwilling kann unter anderem der Zustandsüberwachung in Echtzeit in der Smart Factory dienen. Er bietet zudem die Möglichkeit, weitere neue Technologien einzubinden, etwa Augmented Reality. In der Industrie kommt dieser erweiterten Realität immer mehr Bedeutung zu. Aus dem vom Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Chemnitz initiierten Erfahrungskreis geht ein Ansatz hervor, der – anders als bei Augmented Reality – nicht nur im Computerbild einen spezifischen Zustand anzeigt, sondern zusätzlichen digitalen Inhalt der echten Maschine oder Anlage hinterlegt. In diesem „Digitalen Echtzeit-Zwilling“ werden digitale Informationen aus 2D- oder 3D-Modellen, Steuerungsdaten, Sensordaten und Algorithmen mit der realen Produktionswelt in einen gemeinsamen Kontext gesetzt. Der „Digitale Echtzeit-Zwilling“ unterstützt unter anderem bei der Ursachenanalyse von Anlagenproblemen durch die Verknüpfung von Daten aus der ‚Echtzeitüberwachung‘ mit historischen Daten. Die Reproduktion visualisiert u. a. Steuerungsdaten, Parametereinstellungen, Störmeldungen und kann somit den potenziellen Ursprung von Problemen anzeigen. Für diese dargestellten Methoden und Technologien gilt: Die Verfügbarkeit und Nutzbarkeit von Daten in Echtzeit ist eine entscheidende Voraussetzung. Besonders minimale Latenzzeiten sind in vielen Bereichen unabdingbar, um Echtzeitfähigkeit zu gewährleisten. Eine mögliche Lösung dafür ist der vorgestellte Ansatz, womit auch eine schnelle Verarbeitung der Datenmengen bewerkstelligt werden kann. Die Datenverarbeitung wird hierfür in einen separaten Computer in der Anlage verlagert und findet somit möglichst nah am Entstehungsort statt. Damit ist eine Verfügbarkeit der Daten in nahezu Echtzeit gegeben. Bei dieser Form des Computing werden Übertragungszeiten und Antwortzeiten bis auf ein Minimum reduziert. Es wird eine sehr schnelle Prozesszuordnung der Daten möglich. Solche Lösungen können die Basis sowohl für weitere Anwendungen im Sinne von Industrial-Analytics-Daten als auch für die Nutzung neuer digitaler Geschäftsprozesse über die gesamte Wertschöpfungskette werden, aus denen wiederum Effizienzsteigerungen, Reduzierungen von Fehlerquoten und weitere Verbesserungen resultieren können.
In Summe ist davon auszugehen, dass sich eine synergetische, methodische Kombination von Modelldaten- und Echtzeitdaten-getriebenen Verfahren für den Fahrzeug- und Anlagenbau und darüber hinaus ergeben wird. Für eine nachhaltige Implementierung solcher Lösungen in den Unternehmen sind grundlegende Kompetenzen über Ziele, mögliche Methoden, deren Vor- und Nachteile sowie Strategien zur Implementierung bzw. Vernetzung mit vorhandenen und prozesssicheren Lösungen zu entwickeln.
Unter den Aspekten Wirtschaftlichkeit und konkreter Nachweis der Effekte für den Endkunden sollte im vorgenannten Kontext ein sinnvoller Weg darin bestehen, in einem ersten Schritt die Möglichkeiten im eigenen Umfeld zu implementieren. Darüber können weitere Erfahrungen gesammelt und auch noch vielfach vorhandene psychische Barrieren überwunden werden.
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Autor
Prof. Dr.-Ing. Egon Müller leitete bis 2018 die Professur für Fabrikplanung und Fabrikbetrieb sowie das Institut für Betriebswissenschaften und Fabriksysteme (IBF) an der Technischen Universität Chemnitz. Im Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Chemnitz beschäftigt er sich mit den Themen Industrial Intelligence, Echtzeitdaten und digitaler Zwilling.
egon.mueller@betrieb-machen.de
Weitere Informationen
Das Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Chemnitz gehört zu Mittelstand-Digital. Mit Mittelstand-Digital unterstützt das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie die Digitalisierung in kleinen und mittleren Unternehmen und dem Handwerk.
Was ist Mittelstand-Digital?
Mittelstand-Digital informiert kleine und mittlere Unternehmen über die Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung. Die geförderten Kompetenzzentren helfen mit Expertenwissen, Demonstrationszentren, Best-Practice-Beispielen sowie Netzwerken, die dem Erfahrungsaustausch dienen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) ermöglicht die kostenfreie Nutzung aller Angebote von Mittelstand-Digital.
Der DLR Projektträger begleitet im Auftrag des BMWi die Kompetenzzentren fachlich und sorgt für eine bedarfs- und mittelstandsgerechte Umsetzung der Angebote. Das Wissenschaftliche Institut für Infrastruktur und Kommunikationsdienste (WIK) unterstützt mit wissenschaftlicher Begleitung, Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit.
Weitere Informationen finden Sie unter www.mittelstand-digital.de