Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 04.12.2019, Az.: 8 Sa 146/19[1]

Zum Sachverhalt:
Crowdworking ist ein internet-basiertes Arbeitsmodell. KMU können bestimmte Aufgaben der „Crowd“ anbieten. Man spricht dann von „Crowdsourcing“. Die „Crowd“ besteht aus Mitgliedern einer Online-Community, die üblicherweise auf Crowdworkingplattformen registriert sind. Sie übernehmen die angebotenen Aufgaben meist gegen ein Erfolgshonorar. Typisch sind Aufgaben, die der Crowdworker am heimischen Computer oder in der Öffentlichkeit erledigen kann, wie etwa Fernwartungen oder einfache Call-Dienste.Der Kläger ist ein Crowdworker.[2] Die Beklagte betreibt eine Crowdsourcingplattform, auf der sie Aufträge Dritter (z. B. KMU) der Crowd anbietet. Der Kläger war bei der Beklagten registriert. Es ging bei seinen Aufträgen vor allem darum, die Produkt- und Markenpräsentation in Geschäften und Tankstellen zu überprüfen. Der Kläger und die Beklagte verabredeten unter der Überschrift Basis-Vereinbarung, dass der Kläger Aufträge freiwillig und ohne feste Übernahmepflichten annimmt. Die Beklagte wiederum hatte keine Pflicht, regelmäßig Aufträge anzubieten. Eine Vergütung musste die Beklagte dem Kläger „nur bei vollständiger und korrekter Durchführung des Auftrags“ zahlen.[3] Über die speziellen Anforderungen des jeweiligen Auftrags hinaus war der Kläger örtlich und zeitlich nicht gebunden. Er konnte z. B. selbst bestimmen, für welche Stadt er Angebote einholen wollte. Die Tätigkeiten des Klägers über die Plattform der Beklagten nahmen etwa 20 Stunden pro Woche ein, er verdiente damit monatlich rund 1.750 €. Aufgrund von Unstimmigkeiten löschte die Beklagte den Account des Klägers.

Der Kläger beantragte daraufhin u. a. die Feststellung des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten sowie Gewährung von Erholungsurlaub.

Relevanz für Unternehmen:

Der Rückgriff auf Crowdworking ist eine zeit- und geldsparende Möglichkeit, um manche womöglich lästigen Aufgaben außerhalb des Unternehmens erledigen zu lassen. Die eigene Belegschaft wird nicht von ihren Hauptarbeiten abgehalten. Mit dem Crowdworker rechnet man üblicherweise ergebnisbezogen ab.[3]

Der vorliegende Sachverhalt zeichnet sich durch die Besonderheit aus, dass der Crowdworker nicht mit dem Auftraggeber (z. B. dem KMU) selbst Vereinbarungen traf, sondern die beklagte Crowdsourcingplattform als Vertragspartnerin beider Seiten zwischengeschaltet war.[3] In dieser Konstellation stellt sich für KMU zwar nicht die Frage, ob sie mit dem Crowdworker einen Arbeitsvertrag geschlossen haben; die Wertungen des vorliegenden Urteils können aber auch dann beachtlich sein, wenn ein KMU selbst als Crowdsourcer und Vertragspartner eines Crowdworkers auftritt.

In jedem Fall muss bei Einstellen eines Crowdworkers stark auf die Vereinbarung im Einzelfall geachtet werden. Je nach Ausgestaltung und Begleitumständen kann sie den Ausschlag geben, ob der Crowdworker nur als selbständiger Werkunternehmer auftritt[4] oder doch die arbeitsrechtlichen Regelungen Anwendung finden. Wäre der Crowdworker als Arbeitnehmer einzuordnen, hätte er zum Beispiel einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (§ 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz) und bezahlten Urlaub (§ 1 Bundesurlaubsgesetz).

Entscheidungsgründe:

Das LAG München lehnte vorliegend ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ab.

Es sei egal, ob eine Vereinbarung als Basis-Vereinbarung oder als Arbeitsvertrag bezeichnet werde. Wenn das, was die Parteien vereinbaren, die typischen Eigenschaften eines Arbeitsvertrages gem. § 611 a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) aufweise, könne auch die Bezeichnung als Basis-Vereinbarung nichts an der Einordnung als Arbeitsverhältnis (§ 611 a Abs. 1 Satz 6 BGB) ändern. Prägende Voraussetzung eines Arbeitsvertrags sei allerdings die Pflicht zur Arbeitsleistung nach Weisung (d. h. im Abhängigkeitsverhältnis), was im Einzelfall zu überprüfen sei.

Nach der vorliegenden Basis-Vereinbarung sei es dem Kläger überlassen, ob er Aufträge zu übernehmen gedachte oder nicht. Die Pflicht zu arbeiten folge daher nicht aus der Basis-Vereinbarung, sondern ergebe sich erst, wenn der Kläger sich selbst dazu entschließe, einen angebotenen Auftrag auch anzunehmen. Die Parteien „lebten“ zwar die Basisvereinbarung, indem der Kläger über einen langen Zeitraum Aufträge angenommen habe und auch dafür bezahlt wurde. Letzteres ändere dennoch nichts daran, dass die Aktivitäten des Klägers freiwillig erfolgten. Das Crowdsourcingsystem der Beklagten sähe gerade nicht vor, Aufträge einseitig dem Kläger zuzuweisen. Da der Kläger auch räumlich unabhängig war und selbst entschied, in welchen Gebieten er für die Beklagte tätigen werden wollte, sei kein Arbeitsverhältnis begründet worden.

Da das Bundesurlaubsgesetz nur auf Arbeitnehmer und arbeitnehmerähnliche Personen anwendbar sei, müsse auch der Urlaubsanspruch abgelehnt werden (§ 2 BundesurlaubsG).

Reaktion auf das Urteil:

Eine arbeitnehmerähnliche Stellung zeichnet sich dadurch aus, dass bspw. ein Werkunternehmer überwiegend für einen Auftraggeber tätig ist oder bei diesem durchschnittlich mehr als die Hälfte seines Entgelts verdient (§ 12 a Abs. 1 Tarifvertragsgesetz). Hierdurch entsteht eine ähnliche wirtschaftliche Abhängigkeit wie die, der auch ein Arbeitnehmer unterliegt. Daraus folgt die Gleichstellung – d. h. arbeitnehmerähnliche Personen können auch Urlaubsansprüche nach dem BundesurlaubsG geltend machen.Weil der Kläger in diesem Fall etwa zwanzig Stunden pro Woche an Aufträgen der Beklagten arbeitete und damit durchschnittlich ca. 1.750 € verdiente, wurde in der Literatur kritisiert, dass das LAG dessen arbeitnehmerähnliche Stellung mit nur knappen Ausführungen verneint hat.[5]

Quellen und weiterführende Literatur

  1. zum Urteil: LAG München, Urteil v. 04.12.2019, 8 Sa 146/19, Rn. 3.
  2. Über dieses Berufsbild: deutschlandfunk.de – Berufsbild „Crowdworker“ – Die digitalen Tagelöhner (aufgerufen am 17.03.2020).
  3. Justus Frank/Maurice Heine, Crowdworker mit einem Fuß im Arbeitsrecht?, NZA 2020, 292.
  4. https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/arbeitsrecht-status-beschaeftigte-digitale-plattform/ (aufgerufen am 17.03.2020).
  5. Justus Frank/Maurice Heine, Crowdworker mit einem Fuß im Arbeitsrecht?, NZA 2020, 292, 293 u. 294.

 

Autor: Julian Kanert | März 2020